Inhalt
Das Libretto von Thomas Morell geht im wesentlichen auf das erste Buch
der Makkabäer aus dem Alten Testament (apokryphe Schriften) zurück
(1. Makk. 2-8). In ihm wird der jüdische Kampf gegen die Herrschaft
der Seleukiden geschildert, die unter Antiochus IV. Epiphanes den Glauben
und den Gottesdienst Israels auszurotten versuchten.
Teil I
Die Israeliten beklagen den Tod ihres Führers Mattatias. Sie bitten Gott,
ihnen einen Nachfolger zu schicken, der sie aus der Unterdrückung befreit
und ihnen die Freiheit wiedergibt. Simon, einer der Söhne des Mattatias
und Hoherpriester, verkündet, Gott habe seinen Bruder Judas Makkabäus
als neuen Heerführer auserkoren. Judas verspricht dem jüdischen Volk
Frieden und Freiheit.
Teil II
Die Israeliten jubeln Judas Makkabäus zu, der die feindlichen Heere aus
Samaria unter Apollonius und aus Syrien unter Seron geschlagen hat. Als ein
Bote berichtet, dass König Antiochus ein ägyptisches Heer unter der
Führung von Gorgias nach Judäa entsandt habe, überfällt
Verzweiflung die Israeliten. Doch Simon und Judas stärken den Siegeswillen
der israelitischen Truppen.
Teil III
Der Tempel von Jerusalem ist zurückerobert und das Fest des Lichtes soll
gefeiert werden. Ein Bote berichtet, wie Judas, der Makkabäer, den Rest
der feindlichen Heere unter Nikanor bei Kapharsalama geschlagen habe. Der Sieger
zieht im Triumph in Jerusalem ein und gedenkt der im Kampf Gefallenen. Von
einer Mission in Rom kehrt der israelitische Gesandte Eupolemus mit einem Vertrag
zurück, der die Unabhängigkeit Judäas garantiert. Die Israeliten
danken Gott und preisen den Sieger, der ihnen die Hoffnung auf Frieden und
Wohlstand zurückgegeben hat.
Händels JUDAS MACCABAEUS
Mit seinem Siegesoratorium JUDAS MACCABAEUS feierte Georg Friedrich
Händel die Bewältigung zweier problematischer Situationen.
1. Nachdem er sich bereits 1741 endgültig von der italienischen Oper abgewandt
hatte, glaubte er im englischen Oratorium eine künstlerisch wie finanziell
zukunftsträchtige Alternative gefunden zu haben.
2. In der Schlacht von Culloden wurden die Jakobiten am 16.4.1746 geschlagen;
London atmete erleichtert auf, aber Händel wartete noch zwölf Wochen
mit der Komposition seines Siegesoratoriums.
„Ouverture Oratorio Judah Maccabeus. angefangen den 9 July 1746. od. den
8 dieses" schrieb er auf die erste Seite des Autographs, und am Ende der
letzten steht „S.D.G. Fine dell’Oratorio G.F.H. Agost. 11. 1746.
völlig geendet."
Auf Empfehlung des Prince of Wales hatte Händel sich an den Geistlichen
Thomas Morell mit der Bitte um ein passendes Libretto gewandt. Fast ein viertel
Jahrhundert später gab dieser in seinen Memoiren eine lebendigen Bericht
von der Zusammenarbeit mit Händel:
„Nach zwei oder drei Tagen brachte ich ihm den ersten Akt von JUDAS MACCABAEUS,
der seine Zustimmung fand. ‚Gut‘, sagte er ‚und wie wollen
Sie fortfahren?‘ ‚Nun, wir müssen uns einen Kampf vorstellen,
den die Israeliten gewonnen haben, und so beginnen wir mit einem Chor wie Fallen
is the Foe oder so ähnlich.‘ ‚Nein, ich will es so haben‘,
und er begann, das Thema auf dem Cembalo zu spielen, wie es jetzt dasteht. ‚Nun,
machen sie weiter‘. ‚Ich werde Ihnen morgen mehr bringen‘ ‚Nein,
jetzt sofort.‘ So fall thy Foes, O Lord ‚Das wird gehen‘, und
sogleich führte er die Komposition fort, wie wir sie in jenem wunderbaren
Chor vor uns haben.
N.B. Der Plan von JUDAS MACCABAEUS war als Huldigung für den Duke of Cumberland
bei seiner siegreichen Heimkehr aus Schottland entworfen."
Der Beginn von Händels Zusammenarbeit mit Morell bedeutet einen
deutlichen Einschnitt in der Entwicklung des Oratoriums. Seit seiner
Rückkehr aus Dublin 1742 hatte der Komponist mit Samson, Semele,
Hercules und Belshazzar vier seiner besten dramatischen Oratorien geschrieben,
deren Libretti von vier verschiedenen Autoren stammten. In Reverend Thomas
Morell (1703-1784) stieß Händel nun auf einen vielseitig gebildeten
Mann.
Zu Beginn des Oratoriums trauern die Israeliten über den Tod ihres
Führers Mattahias. Dessen Sohn Simon ruft seinen Bruder Judas zum
neuen von Gott bestimmten Führer aus, der seinerseits die Israeliten
ermutigt, sich von der Unterdrückung der syrischen Streitmächte
zu befreien. Im zweiten Akt ist dies bereits geschehen, doch in den Jubel über
den Sieg trifft die Nachricht, dass aus Ägypten ein neues Invasionsheer
anrücke. Das niedergeschlagene Volk wird von Judas ein zweites Mal
moralisch aufgerichtet und in eine siegreiche Schlacht geführt.
Der dritte Akt feiert den Gesamtsieg zunächst als Lob und Preis
Jahwes, dann als Triumph des Judas. Schließlich kommt ein Gesandter
mit einem Vertrag aus Rom zurück, welcher Judäas Unabhängigkeit
garantiert, und die Israeliten stimmen einen Lobgesang auf Frieden und
Wohlstand an.
Das kann man kaum eine Handlung nennen, eher eine Aneinanderreihung von Situationen.
Vom israelitischen Gesandten Eupolemus abgesehen, dessen Auftritt nur dazu
dient, dem Lobgesang einen weiteren Anlaß hinzuzufügen, gibt es
lediglich zwei greifbare Personen, Judas und Simon, die weder genauer charakterisiert
werden noch eine besondere Entwicklung erleben und zudem am selben Strang ziehen,
anstatt, wie man es von einem guten Drama erwartet, einander Gegenspieler zu
sein. Auch dem Volk der Israeliten fehlt ein Widerpart, ebenso ihrem Gott und
die Stimmung wechselt im wesentlichen nur zwischen allgemeiner Niedergeschlagenheit
und allgemeinem Jubel. Aber dies war genau, was im London der Jahre 1745/46
gefragt war, und hierin ist die eigentliche Leistung Morells zu sehen, die
Stimmung der Zeit genau erfaßt zu haben. Die nuancierte Charakterisierung
eines Belsazar oder das persönliche Schicksal eines Herakles waren schon
vor dem Jakobitischen Aufstand auf wenig Interesse gestoßen; um so dringlicher
war während und nach der nationalen Krise eine klare, allgemeinverständliche
Aussage gefordert.
Auch Händel hatte die Zeichen der Zeit verstanden. Statt eines psychologisch
subtil aufgebauten musikalischen Dramas schrieb er nun ein festliches Konzertoratorium,
das schon durch die Schönheit seiner Einzelsätze beeindruckte und
eine Menge eingängiger Melodien bot. JUDAS MACCABAEUS ist wie kaum ein
anderes Werk Händels auf Popularität ausgerichtet und bietet trotz
der Ein- oder vielmehr Zweitönigkeit des Textes musikalisch einige Abwechslung.
Im Vordergrund stehen dabei die großen Chöre, in denen nicht nur
die Stimmungen der Israeliten ausgedrückt, sondern auch die Emotionen
der Zuhörer erregt werden sollen. Ihr gefälliges Gegenstück
findet sich in den Duetten. Morell hatte eigentlich nur deren zwei vorgesehen,
doch Händel machte sich die Beliebtheit solcher Stücke zunutze, indem
er ihre Zahl auf anfangs fünf, später sogar sechs erhöhte. Zwei
(bzw. drei) der Duette gehen ebenso wie vier Arien nahtlos in einen Chor über,
was insgesamt mehr Kurzweil in den Ablauf der Nummern bringt.
Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass Morell seine Dichtung parallel
angelegt hat: das Schema Klage der Israeliten – Aufmunterung durch Simon – Judas‘ Appell – Bestärkung
durch einzelne Israeliten – Entschluß des Volkes – Schlacht
und Sieg zwischen den Akten – Feier (I) – Bericht – Feier
(II) – Judas‘ Auftritt – Auftritt eines Boten wird verdoppelt
und mit einem Hymnus abgeschlossen. Während der erste Sieg vor allem ein
militärischer ist und das Volk daher zunächst nur seinen Heerführer
Judas feiert, wird dieser erst dadurch zum wahren Helden, dass er die Erkenntnis
vermittelt, nicht er selbst, sondern Jahwe habe das Schicksal der Israeliten
gewendet. Um dies zu bestätigen, ist der zweite Waffengang nötig.
Innerhalb der parallelen Grundstruktur hat Morell aber leicht variiert. So
wird der Entschluß zum Kampf im ersten Durchgang gleich dreimal vom Volk
vorgetragen, im zweiten nur einmal; die erste Feier wird vom ganzen begonnen,
die zweite von den Solisten; Judas‘ erste Arie ist an sich selbst gerichtet,
die entsprechende im zweiten Durchgang an das Volk, usw.
Händel hat seinerseits Wiederholungen und die Vorwegnahme von Effekten
konsequent vermieden. Mit Fallen is the foe beginnt die erste Feier in ernstem
d-Moll, plötzliche Pausen im Chor sowie unerwartete harmonische und dynamische
Wendungen scheinen die Freude über den Sieg zu trüben. Dagegen steht
Father of Heaven in friedlichem F-Dur, einer für pastorale Szenen bevorzugten
Tonart, und die Melodie kann sich hier ungehemmt entfalten. Ist die erste Trauerszene
schon mit zwei Chören, einem Rezitativ und einem Duett großartig
angelegt, so erreicht Händel im entsprechenden Ah! wretched Israel eine
Steigerung nicht etwa durch den Umfang der Komposition, sondern durch eine
Intensivierung der Ausdrucksmittel, indem er zum ersten Mal in diesem Oratorium
einen langsamen Satz im gefühlsbetonten Dreivierteltakt schreibt und zudem
beim ersten Orchestersatz ein viertaktiges Basso-ostinato-Motiv einführt,
welches alle Töne der c-Moll-Tonleiter umfaßt.
Doch auch wo sich Parallelen zwischen verschiedenen Abschnitten der beiden
Durchgänge ergeben, wiederholt Händel sich nicht. Simons Arie Arm,
arm, ye brave enthält zwar fanfarenartige Dreiklangsmotive, wirkt aber
durch das solistische Hervortreten der beiden Oboen eher konzertant; kriegerische
Klänge bringt erst der anschließende Chor, eine regelrechte Battaglia
im schnellen Dreivierteltakt. Inhaltlich entspricht diesem Satzpaar Judas‘ Arie
Sound an alarm mit dem Chor We hear, aber Händel bringt einen neuen Effekt
durch den Einsatz von Pauken und Trompeten, den er sich ein halbes Oratorium
lang bis zu dieser Stelle aufgespart hat. Außerdem überrascht er
den Hörer nicht nur mit der Gegenüberstellung von wiegender Sechsachtel-Bewegung
im Chor und militärischen Rhythmen der Instrumentalbegleitung , sondern
auch mit einer plötzlichen Mollwendung nach einer Generalpause, in der
er mitten in der Kriegseuphorie die Möglichkeit des Scheiterns reflektiert.
Die Wirkung solcher Einzeleffekte, die innerhalb einer betont einfachen Satzstruktur
ganz gezielt eingesetzt wurden, war Händel in diesem Oratorium offenbar
wichtiger als ein permanentes kompositorisches Raffinement auf höchstem
Niveau. Und seine Rechnung ging auf. JUDAS MACCABAEUS wurde ein voller Erfolg.
Schon die Uraufführung am 1. April 1747 zog fünf weitere Vorstellungen
nach sich, und außer 1749 erlebte das Oratorium in dem Jahr bis zu Händels
Tod mehrere Vorstellungen, 33 davon unter Leitung des Komponisten, insgesamt
sogar 54. Nur MESSIAH wurde etwas öfter gespielt, und ebenso wie dieses
Oratorium schien JUDAS MACCABAEUS sich für Benefizkonzerte außerordentlich
gut zu eignen. Händel hat dabei von Anfang an ein neues Publikum im Auge
gehabt; um das wohlhabende Bürgertum zu gewinnen, gab er das exklusive,
die Nobilität ansprechende Subkriptionssystem auf, und der Erfolg schien
ihn zu bestätigen. Wie späteren Äußerungen zu entnehmen
ist, war Händel sich allerdings auch darüber im klaren, dass der
Gewinn an finanzieller Sicherheit und Popularität mit künstlerischen
Zugeständnissen erworben war, doch das nahm er ganz bewußt in Kauf.
Im Laufe der Zeit fügte er sogar noch immer neue Zusatznummern ein, die
allesamt eigentlich für andere Oratorien komponiert waren. Das berühmteste
Stück beispielsweise, See, the conquering hero comes stammt aus JOSHUA,
die festliche Wirkung dieses Auftritts ist äußerst beeindruckend.
Die heutige Wiedergabe versucht nicht, die Fassung einer ganz bestimmten
Aufführung zu rekonstruieren. Vielmehr orientiert sich die Auswahl
der Varianten an der pragmatischen Haltung Händels, der Veränderungen
nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Werkverbesserung oder (häufiger)
der Popularität vornahm, sondern auch, um das Stück der Möglichkeiten
des gerade zur Verfügung stehenden Ensembles anzupassen. So übertrug
er die Sopran- bzw. Mezzosopranpartien der Israelitin und des Israeliten
gelegentlich einem Tenor. Pious orgies war ursprünglich in Es-Dur
für Baß (Simon) geschrieben, wurde aber schon vor der Uraufführung
für Sopran nach G-Dur transponiert. Zum gleichen Zeitpunkt wurde
Oh lovely peace aus einer Sopranarie in ein Duett umgearbeitet. Die Arie
Oh liberty, thou choicest treasure war, wie dem oben angeführten
Zitat zu entnehmen ist, zunächst für das Occasional Oratorio
komponiert worden, bevor sie zur dritten Aufführung des Jahres 1747
an ihren ursprünglich vorgesehenen Platz gesetzt wurde. 1750 schob
Händel das kleine Rezitativ Haste we, my brethren vor den Schlußchor
des ersten Aktes ein, und als er im selben Jahr See, the conquering hero
comes aus JOSHUA übernahm, wurde der folgende Marsch, den er schon
1747 zur dritten Aufführung nach einem Thema von Gottlieb Muffat
komponiert hatte, von F- nach G-Dur transponiert. Sion now her head shall
raise wurde 1757 für die Wiederaufführung von Esther geschrieben,
im darauffolgenden Jahr aber an die vorliegende Stelle versetzt und mit
einem einleitenden Rezitativ versehen (Well may we hope our freedom to
receive). Die Arie Wise men, flattering, may deceive you war eigentlich
für die 1758er Belshazzar-Aufführung vorgesehen, wurde aber
einen Monat später hierher übernommen.
Darüber hinaus machte er in JUDAS MACCABAEUS einige thematische Anleihen
bei Georg Philipp Telemann, Carl Heinrich Graun und Giovanni Battista Bononcini,
was im 18. Jahrhundert weniger als Plagiat denn als Zitat im Sinne einer Verbeugung
vor guter Musik verstanden wurde.
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