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16.11.09
 

Schweizer Buchpreis 2009

Der Schweiz. Buchhändler- und Verlegerverband SBVV hat einer Jury die Vergabe des Buchpreises 09 übergeben. Aus der Liste von 5 Nominierten wurde Ilma Rakusa ausgewählt.


Ilma RakusaIlma Rakusa, «Staune und vertraue»

Tagesanzeiger, 16. nov 09, S. 11:

Ilma Rakusa Gewinnerin des diesjährigen Schweizer Buchpreises. Von Christine Lötscher: Auf stille Weise kämpferisch

Ilma Rakusa ist ein winddurchlässiges Wesen. Ihre Antennen sind so aufnahmefähig, so fein gestimmt, dass sie sich in sich selbst zurückziehen muss, um die Eindrücke zu verdauen – manchmal zwingt sie auch die Migräne zu Dunkelheit und Ruhe, wie sie gestern in Basel an der Verleihung des Schweizer Buchpreises sagte.

Die Durchlässigkeit, aus der die Autorin, Slawistin und Übersetzerin ihre poetische Kraft bezieht, fing mit einer unfreiwilligen Wanderschaft an, deren Stationen sie in ihrem eindrücklichen Erinnerungsbuch «Mehr Meer» Wort für Wort leuchtend beschreibt.

Ilma Rakusa, 1946 in der Slowakei geboren, nomadisierte als Tochter eines slowenischen Vaters und einer ungarischen Mutter durch Mitteleuropa, immer mit gepackten Koffern. Budapest, Ljubljana und eben Triest waren einige der Stationen, bevor sich die Familie in Zürich niederliess.

Die Sprache war das kleinste Problem für das von Haus aus dreisprachige Mädchen. Musik, die universellste aller Sprachen, war der leidenschaftlichen Klavierspielerin genauso leicht zugänglich wie der unmelodische Zürcher Dialekt, den sie perfekt lernte – und in dem noch heute ein Hauch von östlichem Charme mitschwingt. Später kamen noch viele Sprachen dazu, allen voran das Russische.

Zürich blieb für Ilma Rakusa immer ein kühler Ort. Ein Ort, der wenig Sinnliches, wenig Stoff zum Schauen bot: «Ich musste mir, was ich brauchte, meist erfinden», schreibt sie in «Mehr Meer».

Erfinden ist das eine, was Ilma Rakusa immer tun würde, in Gedichten, Essays und Prosatexten. Doch die Welt wollte nicht nur erfunden, sondern auch erkundet sein – entdeckt wäre ein zu besitzergreifendes Wort für die sensible Beobachterin. Ihr Blick ist neugierig und ohne Vorurteile; eine Lust, sich vom Augenblick verführen zu lassen, gehört dazu. Ihr Auge ist aber auch scharf – denn dahinter steht ein immenses Wissen, das sich Rakusa durch ihre ebenso leidenschaftlichen wie akribischen Lektüren angeeignet hat.

Im soeben zum besten Schweizer Buch 2009 gekürten «Mehr Meer» sprechen die Dichterin, die Literaturwissenschaftlerin und die Übersetzerin dreistimmig. Alle drei haben, bevor dieses Buch entstanden ist, schon viel über Mehrsprachigkeit, über das Schreiben in einer fremden Sprache nachgedacht. Jetzt fliesst alles in einem leichtflüssigen, sinnlichen Erinnerungsstrom zusammen.

Mit der Auszeichnung für «Mehr Meer» erhält Ilma Rakusa auch als Schriftstellerin die Anerkennung, die sie als erfolgreiche Übersetzerin, als einflussreiche Kritikerin und engagierte Literaturvermittlerin, die sich für die Spracharbeiter und den Autor einsetzt, schon lange hat – an literarischen Anlässen gehören ihre zarte Gestalt und ihre klugen Kommentare immer dazu. Über sich selbst sagte sie einmal, sie sei auf eine stille Weise kämpferisch, insistent. Eigenschaften, die sich mit einer Haltung der Offenheit verbinden, die im letzten Satz von «Mehr Meer» zusammenfliesst: «Staune und vertraue.»


Mehr Meer, Ilma RakusaIlma Rakusa, Poetischer Zauber

Tagesanzeiger, 16. nov 09, S. 29:

Der Schweizer Buchpreis zeichnet Literatur ohne Grenzen aus, Christine Lötscher, Basel
An der Buchmesse in Basel wurde Ilma Rakusa mit dem Schweizer Buchpreis geehrt – für das überraschendste Werk auf der Shortlist.

Für ihr Buch «Mehr Meer» wurde sie an der Basler Buchmesse mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.

Der 2. Schweizer Buchpreis, mit 50 000 Franken dotiert, wurde in einer ziemlich gut versteckten Halle im Basler Messequartier verliehen, die der Buchmesse und dem Literaturfestival Buch 09 einen angenehm familiären Rahmen bot. Zur Verleihung am Sonntagmorgen füllte sie sich mit Kulturprominenz und Literaturinteressierten, die hautnah mit den für die Shortlist nominierten Autoren Ilma Rakusa, Eleonore Frey, Angelika Overath, Jürg Laederach und Urs Widmer mitfiebern konnten. Es wimmelte von Kameras und Mikrofonen – insofern hat der Preis seinen Zweck erfüllt: Publicity für das Buch als Kulturgut.

Marianne Sax, Präsidentin des Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverbands SBVV, der den Preis zusammen mit der Buch 09 ausrichtet, lobte das Engagement der Jury für Bücher jenseits der Bestsellerlisten. Das fünfköpfige Gremium habe sich den Luxus geleistet, heisse Kandidaten, auf die schon Wetten abgeschlossen worden seien, aussen vor zu lassen. Damit meinte sie wohl Hugo Loetschers autobiografisches Vermächtnis «War meine Zeit meine Zeit», Peter Stamms «Sieben Jahre» und den «Argentinier» von Klaus Merz – Werke, die leicht zu lesen sind und sich durch raffinierte Perspektiven und vielschichtige Erzählstrategien auszeichnen. Unbedingt – dieser Wermutstropfen lässt sich nicht wegwischen – gehören auch sie zu den wichtigsten Schweizer Büchern des Jahres.

Die Jury hat sich auf die bewährten Stärken der Schweizer Literatur konzentriert: auf Tiefenbohrungen in die Wahrnehmung und in die Sprache. Und sie hat gut gewählt: Alle fünf Bücher sind zu den stärksten Texten des letzten Schweizer Literaturjahres zu rechnen, wobei «Mehr Meer» von Ilma Rakusa der überraschendste ist – einer, den man in einem Zustand der poetischen Verzauberung liest. TA-Redaktor Martin Ebel, Mitglied der Buchpreis-Jury, ging dieser Magie in seiner Laudatio auf den Grund: Ilma Rakusa gelinge es, das Schöne, Intensive, Poetische auch dort hervorzuzaubern, wo man es nicht erwarte, und so erfülle sie die Welt mit Poesie. Der Preis ist hochverdient.

Das soll die anderen Nominierten nicht herabsetzen. Nicht Urs Widmer mit «Herr Adamson», einem Wunderwerk der fantastischen Erzählkunst, in dem, wie Juror Martin Zingg sagte, die Grenze zwischen Lebenden und Toten mit «hochtouriger Fantasie» durchlässig gemacht werde. Auch nicht Eleonore Frey und ihr «Muster aus Hans». Für ihre «Beschwörung eines existenziellen Andersseins», so Juror Hans-Ulrich Probst, habe Frey eine kompakt erzählende, klug reflektierende Sprache gefunden.

Verdientermassen war auch Angelika Overaths Roman «Flughafenfische» nominiert, den Jury-Sprecherin Sandra Leis als Gesellschaftspanorama las, in dem der künstliche Raum eines Aquariums mit dem künstlichen Raum des Flughafens sprachmächtig verwoben wird. Und sympathisch das verrückteste aller fünf nominierten Projekte, Jürg Laederachs «Depeschen nach Mailland» – ein «federleichtes, freches Buch», wie Juror Manfred Papst lobte.

Letztes Jahr hatte Rolf Lappert den Schweizer Buchpreis erhalten, ein Erzähler von angelsächsischem Flair – diesmal hat mit Ilma Rakusa eine vielseitige Intellektuelle mit Luftwurzeln rund um den Globus gewonnen. Da scheint sich beim Buchpreis eine Tendenz zur Förderung einer von Grenzen und der vielbeschworenen Enge unbeeindruckten Literatur abzuzeichnen.


Wässerwasser, Urs AugstburgerBuchpreis 2010 in simpler Titellogik?

«Die Buchmesse wird auch 2010 stattfinden, dann wieder in den Messehallen. Und ohne Egon Ammann. Man kann nur hoffen, dass auch die neue Festivalleitung den Spagat zwischen Publikumsmesse und qualitativ hochstehendem Literaturfestival so elegant schafft, wie dies Ammann mit seinen internationalen Kontakten gelungen ist.» (Chr. Lötscher in TA, 16. nov 09)

2008 erhielt Rolf Lappert für «Nach Hause schwimmen» und 2009 Ilma Rakusa für «Mehr Meer» den Preis des SBVV. Titelmässig gefolgert heisst der Gewinner 2010 Urs Augstburger für «Wässerwasser».

 
 

Übersicht und Buchbesprechungen auf: Dorfmuseum Lengnau AG

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