TagesAnzeiger, 6.2.98, Tourismusbeilage, gescannt von Lukas Müller, veröffentlicht am 8.2.98
Lieber ohne "Giraffenfrauen"
Die Besuche bei Bergvölkern Thailands hinterlassen zwiespältige Gefühle.
Im Dorf eines Akha-Stammes produzieren sich Kinder, indem sie uns das Alphabet aufsagen. Wir scheinen ihnen als willkommene Abwechslung zu dienen. Doch werden wir den Eindruck nicht los, dass wir uns in einem Menschenzoo befinden.
In anderen Dörfern werden die Zweifel noch drängender. Dürfen wir in das Leben der Stämme eindringen? Werden diese Menschen nicht ausgenützt? Im Fall der "Giraffenfrauen", in deren Dörfer wir ebenfalls geführt werden, müssen wir uns nicht mehr fragen. Hier tragen die Frauen bis zu zwanzig Ringe um den Hals. Die Anzahl, erzählen die Reiseführer, sei ein Mass für Schönheit und Anmut. Doch wir erfahren auch, dass der Brauch der Gesundheit schadet. Je mehr Ringe eine Frau nämlich trägt, desto weiter werden ihre Schulterblätter unter erheblichen Schmerzen nach unten gedrückt. Der Hals wird nicht wirklich länger, aber es erscheint so. Der Brauch stammt aus Burma und war laut der "Gesellschaft für bedrohte Völker" bereits am Aussterben. Doch vor einigen Jahren entdeckten findige thailändische Tourismusmanager das Geschäft und importierten die Körpermanipulation samt den Frauen hierher.
Nun können die "Giraffenfrauen" in mehreren Dörfern gegen Eintritt besichtigt werden. Die humanitäre Organisation rät von den Besuchen ab. Nur durch Verzicht lasse sich die Vermarktung und Wiederbelebung des qualvollen Brauches stoppen. (is.)
Ich habe hier auch ein Bild eingescannt, einfach so, als Beleg. Obs richtig ist, dies hier zu veröffentlichen - da bin ich mir gar nicht so sicher.
Fotos dieses seltsamen (und vielleicht auch frauenverachtenden) Brauches kann man in Büchern finden. Warum werden solche Bilder gesammelt? Was macht solche Bilder interessant?
Warum finden wir das "schön"?
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Hier eine Sammlung eingegangener Kommentare:
20. Februar 1998
Hm, das ist also eine sehr schwierige Aufgabe. Ich persönlich habe in meinem bisherigen Leben sehr wenig "Touristenattraktionen" gesehen - und wenn, dann war ich nachher jedesmal ernüchtert und abgestossen davon (z.B. "Floating Market" in Thailand). Weil: Tja, mit Kultur hat das ja wirklich überhaupt nichts mehr zu tun, und ein normal empfindsamer Mensch empfindet das dann wohl auch als unnatürlich, oberflächlich und aufgesetzt. Auf den Giraffenfrauentrip mitgehen würde ich wohl nur, wenn mein Leben in die absolute Langeweile und Konsumwut abgedriftet wäre - und so weit soll es nie kommen. Grundsätzlich finde ich natürlich sowieso, dass man diese Art von Tourismus nicht unterstützen sollte, denn Tourismus sollte ja eigentlich im besten Falle dazu führen, dass man sich echt mit einer anderen Kultur auseinandersetzt, und genau das wird durch diese Art von Kommerz verunmöglicht. Apropos Tourismus, hier noch ein Link zum Thema (Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus der Uni Bern). Da werden genau diese Fragen behandelt.
Das hat aber noch nichts mit dem "Giraffenbrauch" an sich zu tun. Die Frage, ob dieser Brauch an und für sich schlecht, frauenverachtend, unethisch und zu verurteilen ist... diese Frage kann ich für mich nicht lösen. Klar finde ich ihn aus meiner Perspektive unmenschlich. Aber ich habe Angst, eine überhebliche Haltung einzunehmen gegenüber einem Volk und dessen Bräuchen, die schon seit Jahrhunderten gewachsen sind. Ich fühle mich da echt in einem Dilemma. Steht es mir zu, über sie zu urteilen? Vielleicht müssten wir darüber hier eine Diskussion eröffnen. - Oder war das gar nicht die Frage, die Dich am meisten interessierte? :-)
Kommentar von Lucky: Genau darum geht es! Ich versuchte es in meinem Text anzutönen. Ich für mich habe Zurückhaltung im Urteilen über Strukturen, deren Biografie ich nicht kenne. Ich kann mir aber sehr wohl eine persönliche Meinung bilden und für mein Verhalten die Konsequenzen ziehen.
Im konkreten Fall wäre ich nicht hingegangen. Ich halte auch die touristische Umsiedlungsaktion als Ganzes für verwerflich. Ich hege den Verdacht, dass das Ritual mit den Ringen frauenverachtend sein könnte. Ich kann das aber aus meiner Position hier in Europa nicht machen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es könnte, wenn ich mich eine Zeitlang bei diesem Stamm aufhalten würde. Dass der Brauch am Aussterben ist, muss nicht unbedingt schlecht sein. Den Tourismusunternehmern ging es aber sicher nicht um den Schutz des Brauchtums. Allein die "Verpflanzungsaktion" von Burma nach Thailand zeigt die rein kommerziell orientierte Interessen. Ich kann mir keine positiven Auswirkungen auf diesen Stamm vorstellen.
Eine Frage wurde im Kommentar
von @-net aber gar nicht angeschnitten: Warum finden wir das
schön? Ich fühle mich selbst bei einem Brauch wie den der
"Giraffenfrauen" angesprochen. Ich erinnere mich aber noch gut, wie
mich die Vorstellung schauderte, wie ich als Bub in Büchern von
Pearl S. Buck gelesen habe, dass die Chinesinnen ihre Füsse
einbandagiert hätten, damit die Füsse nicht normal lang
wachsen und sie dann beim Gehen ganz kleine Schrittchen machen
müssten. Das sei für Chinesen ein wichtiges Symbol für
Anmut und Eleganz und Würde. Damals dachte ich: Mao Tse Dong sei
Dank. (für einiges, beileibe nicht für alles!)
03.02.2001
Meine Thailand-Reise
Vor zwei Jahren habe ich mich auf den Weg nach Thailand begeben. Ich wusste von den Giraffenfrauen - ich war entrüstet. Angekommen in Mae Hong Song wurde ich geradezu überhäuft mit Angeboten solcher "attraktiven" und auf keinen Fall zu missenden Exkursionen.
Ich habe meinen Beitrag geleistet, indem ich auf diesen "Augenschmaus" verzichtet habe. Mehr noch: Ich hatte die Möglichkeit, über einen Trekking-Veranstalter einen Flyer zu gestalten und habe diesen dann in der ganzen Stadt bei einer Nachtaktion aufgehängt.
Mit einer grossen Befriedigung und Gewissheit, etwas entscheidendes zur Sprache gebracht zu haben, habe ich diesen wunderschönen Ort wieder verlassen.
Kommentar von Lucky: Verzicht ist gut - handeln ist besser. Ob deine Flyeraktion etwas gebracht hat, weiss ich nicht. Viele Touris machen an solchen Aktionen mit und merken erst im Nachhinein, was sie damit angerichtet haben. Solche sind empfänglich für Flyerinfos.Kompliment für deine Aktion.