Basler Zeitung
Mittwoch 20. Dezember 2000

Neues Lernen im virtuellen Klassenzimmer

Lernen am PC: Kurse für Lehrer und Lehrerinnen, damit sie wissen, wovon Jugendliche sprechen.

Von Timm Delfs

Mit einer grossangelegten Bildungsinitiative möchte Microsoft die Lehrkräfte von den Vorzügen des computerunterstützten Lernens überzeugen. Lernen am Computer in Verbindung mit anderen Studierenden und einer Lehrkraft ist eine neue Form, den PC kennen zu lernen.
 

 

Eine ungewohnte Klasse traf sich am vergangenen Samstag in Zürich zur Evaluation ihres ebenso ungewöhnlichen, soeben abgeschlossenen Lehrgangs. Zweiundzwanzig Lehrerinnen und Lehrer aus unterschiedlichsten Bildungsinstituten der Schweiz waren zusammengekommen, um mit ihrem Lehrer zu besprechen, wie sie den eben absolvierten achtwöchigen Kurs erlebt hatten. Das Spezielle an der Versammlung bestand darin, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst einmal, nämlich zu Beginn des Lehrgangs gesehen hatten.

Unterrichtet wurde nicht in einem gemeinsamen Raum, sondern im virtuellen Klassenzimmer. Das heisst zu Hause am eigenen PC, mit dem Lehrer und den Mitschülerinnen und Mitschülern via Internet verbunden. Der Computerbildschirm muss bei dieser Unterrichtsform, die von den Anbietern «elernen» genannt wird, gleich mehrere aus der herkömmlichen Schulstunde bekannte Werkzeuge ersetzen. Er ist Wandtafel, Projektor und Schreibblock zugleich. Dank schnellen Datentransfers und Voice over IP sind mündliche Erklärungen und Wortmeldungen möglich. Der gemeinsame online-Unterricht bildet jedoch beim «Computer Based Teaching» (CBT), wie das neu heisst, nur einen Teil des Lehrganges. Der Löwenanteil wird
mit Hilfe von Lernsoftware erarbeitet.
Diese Art von ortsunabhängigem
Unterricht ist ein Kind der Globalisierung der Privatwirtschaft. Grosse Konzerne haben die Vorzüge des CBT für sich entdeckt, wenn es beispielsweise darum geht, neue Software oder neue Computer weltweit bei den Mitarbeitern einzuführen. Solche so genannte Rollouts sind in der Regel mit beträchtlichem Aufwand verbunden und von entsprechenden Ausfällen begleitet. Lernsoftware, online-Support und virtuelle Klassenzimmer wurden entwickelt, um derartige Umstellungen möglichst schnell und reibungslos mit einem weltweit gleich hohen Niveau durchzuführen.

Pilotkurs gestartet

Was sich im Wirtschaftsalltag bewährt, sollte auch in der Schule zumindest bekannt sein, findet man bei Microsoft. Deshalb wurde im Oktober ein achtwöchiger Pilotkurs für Lehrkräfte gestartet, in dem Arbeitstechniken mit dem Paket «Office 2000» vermittelt werden. Im nächsten Frühling folgen reguläre Kurse für fünf Regionen in der Schweiz. Die Kurse in Zürich, Bern, St. Gallen, Basel und Luzern werden von der Firma «Teachforce» durchgeführt, die in der Schweiz zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehört. «Mit den Kursen für Lehrkräfte verfolgen wir drei Ziele», erklärt Peter Kindlimann, der das Projekt für Microsoft in die Wege geleitet hat. «Die Lehrkräfte sollen die Office Suite für ihre eigenen administrativen Arbeiten im Zusammenhang mit der Schule nutzen lernen, sie sollen lernen, damit Unterrichtswerkzeuge für den Unterricht zu erstellen und sie sollen mit der neuen Form von Unterricht vertraut gemacht werden, bevor ihre Schützlinge mehr darüber wissen als sie».

Einseitiges Angebot?

Dass bei diesen Kursen Microsoft als einziger Anbieter zu Wort kommt, hat die Absolventen des Pilotkurses wenig gestört. Das Votum eines Lehrers lautete: «Wenn ich meine Schülerinnen und Schüler auf den Arbeitsalltag vorbereiten möchte, sollen sie mit der Software umgehen können, mit der sie in Zukunft mit der grössten Wahrscheinlichkeit konfrontiert werden, und das ist nun mal Office.» Ausserdem seien sich die meisten Textverarbeitungs- und Tabellenkalkulationsprogramme in der Anwendung sehr ähnlich, wodurch man bei Beherrschen des einen auch andere bedienen könne.
Die Bedürfnisse und der aus dem Pilotkurs gezogene Nutzen fielen in der heterogenen Gruppe sehr unterschiedlich aus. Da waren einerseits die Freaks, die ohnehin bereits viel mit dem Computer erledigen und in erster Linie auf die praktische Durchführung des Kurses sowie Tricks und Kniffe im Umgang mit der Software gespannt waren. Sie waren auch diejenigen, die den Computer bereits im Unterricht anwenden.
Lehrkräfte für die Primarstufe hingegen waren in erster Linie an der Verwendung für eigene Zwecke interessiert. Eine Kursteilnehmerin gab zu Protokoll, dass das Angebot für sie eine Chance darstelle, ihre Abneigung gegenüber ihrer «Kiste» abzubauen. Sie hätte sich vorher nicht erträumen lassen, dass das Arbeiten vor dem Bildschirm so viel Spass machen könne.
Obschon der Pilotkurs acht Wochen dauerte, gab es in der ganzen Zeit lediglich vier Lektionen, während denen der Klassenverband und die Lehrkraft gemeinsam online waren. Solche Lektionen dauern so lange wie eine herkömmliche Unterrichtslektion, da die Arbeit sehr konzentrationsintensiv und gleichzeitig effizient ist. Tag und Zeitpunkt sind im Voraus bestimmt und sind am ehesten mit einer Telefonkonferenz vergleichbar. Jeder Kursteilnehmer sieht den selben Bilschirminhalt. Über ein Headset, bestehend aus Kopfhörer mit integriertem Mikrofon, wird der Sprachkontakt gewährleistet. Anders als beim Telefon kann aber nur immer eine Person sprechen.

Lernen am Bildschirm

Auf dem Bildschirm ist neben der Arbeitsfläche eine Knopfleiste mit kleinen Bildern der Kursteilnehmer und der Lehrkraft sichtbar. Sie zeigt auch, wer gerade das Wort hat. Wortmeldungen muss man, ähnlich wie beim herkömmlichen Unterricht, anmelden. Statt die Hand zu heben, klickt man auf einen Knopf, der eine erhobene Hand zeigt. Man kann sogar Nachrichten untereinander austauschen, ohne dass die Lehrperson das erfährt. Der Bildschirminhalt wird beim Frontalunterricht weitgehend vom Tutor bestimmt, der den Kursteilnehmern Aufgabestellungen, Grafiken und Texte auf den Bildschirm zaubern kann. Wenn er den Teilnehmern eine Excel Tabelle schickt, wird bei allen automatisch das Programm gestartet.
Sobald die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine Tabelle oder eine Webseite, die ihnen vorgelegt wird, zugreifen, können sie sie individuell verändern und das Ergebnis lokal abspeichern. Wer in Schwierigkeiten gerät, kann die Hilfe der Lehrkraft mit der so genannten «über die Schulter»-Funktion beanspruchen. Die Lehrkraft lässt sich den Bildschirminhalt des Kursteilnehmers auf dem eigenen Bildschirm zeigen, nimmt dessen Cursor selbst in die Hand und manövriert ihn oder sie so zum Ziel.

Ausserhalb der online-Lektionen wird in individuellem Tempo mit Hilfe der mitgelieferten Lernsoftware gearbeitet. Chat-Foren zu vereinbarten Zeiten und der Austausch von E-Mails sollen sicher stellen, dass niemand den Anschluss verpasst. 
Der erste Kurs «Einführung in Office 2000» für den Raum Basel beginnt am 17. Februar. Die Kosten betragen Fr. 250.-. Im Preis enthalten ist die Lernsoftware in Form einer CD-Rom, die Leihe eines Headsets und die Abklärungen bezüglich Anforderungen an Hardware und Software. Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen bekommen Office 2000 zum Vorzugspreis von Fr. 125.-. Aus praktischen Gründen wendet sich der Kurs nur an PC-Anwender. Ein Lehrgang für Mac-User ist jedoch geplant.

Infos und Anmeldung unter http://www.elernen.ch


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